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WM-QualifikationTränen und ChampagnerFrankreich : England 1:1 (0:0) | ||
von Nora Kruse (Text u. Bilder)
02.10.2006
Katie Chapman (r.) enteilt Anne-Laure Casseleux - dennoch waren die Angriffsaktionen auf beiden Seiten zunächst nicht zwingend genug.
Erst in der letzten Viertelstunde der ersten Halbzeit sammelten sich die Französinnen. Mit dem Start einer minutenlangen
Laola-Welle versuchten es nacheinander die Routiniers Sandrine Soubeyrand, Pichon und Lattaf – und alle scheiterten sie
entweder an fehlendem Zielwasser oder an Englands Torhüterin Rachel Brown. Man bekam einen Eindruck, was Elisabeth Loisel
meinte, als sie am Vortag das Fehlen von Durchsetzungsvermögen und Tordrang bemängelte, selbst wenn sich ihre Spielerinnen
wunderschön bis zum Tor durchspielen könnten.
Der englische Jubel über das 0:1 schien nicht enden zu wollen. Die Französinnen rannten, kämpften und gaben alles, um sich in den verbleibenden 25 Minuten mit zwei Toren wieder zu befreien. Sie verlegten das Spiel fast ausschließlich in die englische Hälfte, wobei ihre Aktionen zu übermotiviert und hektisch waren. Es schien, als konnten sie nach ihrer gerade erst gewonnenen größeren Sicherheit keinen klaren Gedanken mehr fassen. |
![]() "We're going to China" - ein Abend, ein Song... | |
Marinette Pichon tat und machte - jedoch alles zu hektisch und ohne Erfolg.
Selbst abgeklärte Spielerinnen, wie Bompastor, Pichon oder Soubeyrand agierten wie nervöse
U19-Spielerinnen und Elisabeth Loisel war die Verzweiflung an der Seitenlinie auch über eine Distanz von über 50 Metern
anzusehen. Die häufig ruhig und nachdenkend wirkende Trainerin flippte förmlich aus, trieb ihre Mannschaft unermüdlich nach
vorne, ließ Kopf und Arme bei jeder vergebenen Chance nur für zwei Sekunden hängen, um wieder in die Hände zu klatschen und
ihr junges Team anzufeuern. Ludivine Diguelman (r.) erzielte kurz vor dem Ende den Ausgleich, musste jedoch in der hektischen Schlussphase auch hinten gegen Karen Carney aushelfen.
Obwohl nur noch zwei Minuten zu spielen waren, war sämtliche Ruhe auf der englischen Bank Vergangenheit. Und auch wenn
Frankreich nie aufgegeben hatte, optisch die meiste Zeit sogar überlegen waren, jetzt drehten sie richtig auf. Es ging noch
was. Die Trainerinnen lieferten sich einen
Wettstreit in Gestik, Mimik und Gebrüll, die Zuschauer gaben alles, und auf dem Spielfeld wurde um wirklich jeden Ball
gefightet. Die letzte Chance in der Nachspielzeit ergab sich dennoch auf englischer Seite, da Sarah Bouhaddi, die bis
dahin souveräner Rückhalt war, mal wieder eine ihrer obligatorischen Blödsinn-Aktionen machte. Die Nerven dürften in der 93.
Minute blank gelegen haben und so meinte die 19Jährige weit
vor dem Tor stehend, Fußball spielen zu müssen. Dabei verlor sie den Ball an Aluko, die ihn zum Kasten
stocherte – aber beim leeren Tor nur den Pfosten traf.
Aufgrund des Mengenverhältnisses hatten die englischen Fans zwar keine Chance gegen das Stadion voller Franzosen, dennoch gab diese Gruppe über 90 Minuten alles, um die "Three Lions" zu unterstützen. |
Jenny Palmqvist pfiff ab, die Engländerinnen lagen sich in den Armen – die Französinnen auf dem Boden. Mit „We’re going to
China“-Gesängen kamen die Engländerinnen aus dem Jubel nicht mehr heraus, breiteten Transparente aus, telefonierten in die
Heimat, ließen den Sekt sprudeln und konnten ihr Glück kaum fassen. England krönte ein „brilliantes Jahr“, wie es Trainerin
Hope Powell nannte, das aus jahrelanger harter Arbeit resultierte, mit einer verdienten Qualifikation. Dass das Turnier im
nächsten Jahr schwer werden würde, musste auch Powell eingestehen. Aber an einem solchen Abend war für diese Gedanken keine
Zeit: „Wir müssen nach vorne schauen, weiter arbeiten und die Endrunde einfach genießen.“
Die Freunde der Engländerinnen, hier Eniola Aluko (l.) und Kelly Smith, kannte keine Grenzen...
So toll die Bilder auf der einen Häfte des Feldes waren, so deprimierend waren sie auf der anderen. Die Tränen flossen in
den gleichen Mengen, wie bei den Engländerinnen der Champagner. Mit der Niederlage gegen Holland hatte die französische
Mannschaft einen einzigen Fehler in dieser Qualifikation gemacht und wurde eiskalt bestraft. Marinette Pichon, die sich ihr
vermeintliches Karriereende vermutlich anders vorgestellt hatte, lief minutenlang schluchzend über den Platz, bis sie
schließlich in die Arme ihrer Trainerin fiel und das Stadion verließ. Stolz sei sie, über so viele Jahre mit einer
brillianten Spielerin, wie Pichon, zusammengearbeitet zu haben, so Elisabeth Loisel, die die Rücktrittsüberlegungen ihrer
Starspielerin im Vorfeld als „nachvollziehbar und legitim“ bezeichnete. Ihre eigene Zukunft ließ Loisel offen. Sie brauche
zunächst Zeit, dieses Spiel zu reflektieren, zu analysieren und sich auch über ihre eigene weitere Karriere klar zu werden.
Nach dem Schlusspiff war Marinette Pichon zu nichts mehr in der Lage, wurde von ihrer Trainerin Elisabeth Loisel (r.) in den Arm genommen und schließlich vom Platz gebracht.
Viele Karrieren hingen an diesem in Spannung nicht zu überbietenden „Endspiel“. Einen Sieger gab es nicht, hätte dieses Spiel
auch nicht verdient gehabt. Frankreich war zwar über weite Strecken tonangebend, scheiterte aber einfach an sich selbst.
Aber genauso wie dieses Spiel ist die Gruppe an sich: ausgeglichen, sie hat keinen Verlierer verdient. Am Ende muss immer
einer jubeln; dennoch muss man sich fragen,
wie sinnvoll die Anzahl der an der Weltmeisterschaft teilnehmenden Teams ist. Es ist schön, dass England gezeigt hat, dass
es auch im Frauenfußball möglich ist, als ‚Außenseiter’ die Qualifikation zu schaffen. Dennoch haben Frankreich und
Finnland gezeigt, dass der jetzige WM-Modus die Leistungsstärke Europas nicht mehr repräsentiert. Auf 24 Teams solle man
die WM erhöhen, wie Loisel nach dem Spiel erklärte, und auch Hope Powell konnte aus europäischer Sicht nur abschließen: „Fünf
Mannschaften sind nicht genug, dafür ist die Qualität in Europa mittlerweile einfach zu hoch.“
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